Unser Abenteuer im Mangroven-Nirgendwo

Blogbeitrag von Mara

Nach dem Frühstück steht erstmal der Abschied von unserem begnadeten Hochsprungkünstler David 2 an, der per Taxi wieder zurück nach Prea zu seinem Gschmusi fährt. Seine ulkige Art werden wir an unseren letzten Tagen hier sehr vermissen.
Heute wollen wir wieder mal die Umgebung von Icarai erkunden und erlauben uns sogar den Luxus, uns mit dem Kite-Bus unserer Kitestation ClubVentos chauffieren zu lassen. Es soll in eine Lagune an einer Flussmündung hinter Moitas gehen, das ein paar Kilometer die Küste hoch liegt.
Wobei Kite-Bus luxuriöser klingt, als es ist: es handelt sich um einen schnaufenden, wackeligen Kleinlaster mit vier Bankreihen hintendrauf und einem Dach darüber. Aber diese Dinger sind unverwüstlich und erstaunlich geländegängig, wie sich noch herausstellen wird.
Die Hälfte der Gruppe wird einen Downwinder zur Lagune machen, die andere Hälfte (Marcel, Roman und ich) fahren mit dem Bus.
Ein Problem ist erstmal wieder das Timing: da die Lagune tidenabhängig und am schönsten bei Ebbe befahrbar ist, soll es recht „früh“ losgehen, eigentlich um zehn. Um zehn erfahre ich bei Rama, dem Stationsleiter, es ginge erst um halb elf los. Um kurz vor halb elf fehlt noch Marcel, der wurde dazu abkommandiert, die anderen zu starten und die Pumpe zurückzubringen und das dauert mal wieder länger als geplant. Dann gibt es noch einen Umweg über die Station (warum auch immer), einen Umweg zum Supermercado, um Wasser zu holen, einen Ratsch des Chauffeurs mit einer hübschen Brasilianerin auf der Strasse – und endlich geht es los!!!!!!
Wir fahren am Strand entlang und haben so die Gelegenheit, auch mal das in Lee gelegene Ende der Bucht, wo wir auch immer viele Kiter gesehen haben, bei (noch relativer) Ebbe zu begutachten. Es hat dort einige flache Felsen im Wasser, auf die man bei halber Wasserhöhe sicher recht aufpassen muss und nach vorne zur Landspitze hin wieder sehr viele Fischerreusen bzw. Holzpflöcke im Wasser. Aber dazwischen sehr schöne Wellen, Dünen und Windräder, soweit das Auge reicht.
Nach circa 15 Minuten Fahrt entlang der Dünen bleiben wir das erste Mal im Sand stecken und dürfen diesen riesigen schweren Laster wieder zu Dritt herausschieben.
Irgendwann schlagen wir uns wieder vom Strand in die Botanik bzw. in den reinsten Wirrwarr von kleinsten Dörfern und da gibt es wieder viel zu bestaunen. Die Kühe, Esel, Ziegen, Schweine, Hühner etcetera laufen alle frei überall umher und so langsam frage ich mich, woher denn jeder Dorfbewohner weiss, welches Tier eigentlich ihm gehört, bzw. wo es denn gerade steckt, wenn er es braucht. Oder gehören die Tiere einfach allen und wenn man mal Milch braucht, melkt man die Kuh, die gerade vor der Tür steht????? Für solche Fragen würde ich wirklich zu gerne besser Portugiesisch können, um mich bei den Einheimischen schlau zu machen.
Was auch sehr auffällig ist: in JEDEM noch so winzigkleinen Dorf gibt es eine sehr schöne und gepflegte Kirche (wie es aussieht immer katholisch) und einen Fussballplatz (was Wunder!!!). Ausserdem die extrem nervigen „Bumps“ oder Betonbuckel quer über die Strasse zur Geschwindigkeitsreduzierung.
Worauf dagegen sehr gerne verzichtet wird, sind Ortsschilder oder Wegweiser – man weiss also nie so wirklich, wo man sich befindet. Am Anfang versuche ich noch, mir den Weg zu merken, aber nach einer halben Stunde wildestem ZickZack nach links und rechts gebe ich auf. Dafür stehen wir plötzlich in einer Sackgasse zwischen einer hohen Sanddüne, einer Hütte und – einem Fluss!! Wir machen grosse Augen, entdecken aber gleich einen Ponton an einem Seil, der uns für unser Vehikel aber viel zu klein erscheint. Zweifelnd betrachten wir diese höchst rudimentäre Fähre. Die Brasilianer können über unser schweizerisches Zaudern natürlich nur wieder milde lächeln. Flugs wird die Fähre ans Ufer gezogen, zwei dünne Holzbretter werden ausgelegt und der Bus balanciert darüber auf den kleinen wackeligen Ponton. Was die schweizerische SUVA bzw. der deutsche TÜV dazu sagen würde, kann ich mir bildlich vorstellen!!!
Hinten an dem Ponton hängt ein winziger Motor mit einer noch winzigeren Schraube, der eher wie ein kleiner Mixer aussieht, aber oh Wunder – er schafft es tatsächlich, den Ponton an dem überall verknoteten und halb zerrissenen Seil über den Fluss zu schippern. Dort angekommen blicke ich zweifelnd auf den Kies- und Muscheldurchsetzten Schlamm, den die Flut zurückgelassen hat und mein Vertrauen in die brasilianische Findigkeit schwindet schlagartig. Wie um Himmels willen soll unser riesiger schwerer Bus da anlanden!!! Aber noch während ich fieberhaft nach portugiesischen Worten suche, um meinen Zweifel darzulegen, ist es auch schon passiert: der Wagen rollt von dem Ponton über die dünnen Bretter und mit einem hässlichen Geräusch versinkt unser Vehikel bis zu den Radnaben im Schlamm. Na bravo!!!! Roman, Marcel und ich schauen uns genervt an und vor unseren Augen löst sich der traumhafte Kite-Tag in Nichts auf.
Schnell tragen wir unser Kitegerödel von der Ladefläche auf ein trockenes Fleckchen Sand und begeben uns aus der Schusslinie, damit wir den wild herumwuselnden Brasilianern nicht im Weg stehen. Und dann beginnt eine laaaange Wartezeit! Gott sei Dank habe ich ein dickes Buch mitgenommen und muss mich nicht langweilen. Roman überbrückt die Wartezeit stilvoll mit Yoga und Marcel haut sich für ein Schläfchen in die Hängematte. Nach etwa einer Stunde, in der der Wagen immerhin schon auf mehrere Steine aufgebockt und das Rad zumindest schon halb aus dem Schlamm gewuchtet ist, ist uns dann doch langsam langweilig und wir erkunden das Mangrovendickicht, in dem sich diverse Sorten von Krebsen verstecken. Entweder viele kleine Krebse mit nur einer grösseren Essensschere, mit der sie sich permanent was auch immer ins Maul stecken und dann schnell wieder in ihren Sandlöchern verschwinden. Oder einige grosse circa handtellergrosse Krebse mit grauem Körper und ferrariroten Beinen, die grusig dick und behaart sind. Sie sollen eine rechte Delikatesse sein und im Wissen darum verschwinden sie ratz fatz zwischen den Mangrovenwurzeln, sobald sie unserer ansichtig werden.

Plötzlich ertönt ein Brummen und durchs Dickicht schiebt sich ein Traktor – unsere heiss ersehnte Rettung!!! Ruckzuck wird der Laster mit einem Metallseil angehängt und aus dem Dreck gezogen. Das Leben kann ja manchmal so einfach sein!!!! ;-) Dummerweise meint unser Fahrer, er kann die Verspätung durch wildes Rasen auf den holprigen Sandwegen wieder gutmachen, was ihm nach der Ankunft einen derben Rüffel von Marcel einträgt, der wie wir schon um sein Leben gebangt hat.

Schnell ist der Zorn aber wieder verraucht, denn vor uns erstreckt sich eine weitläufige Bucht, deren vorgelagerte Sandbänke leider fast schon alle von der Flut überspült werden. Die Anderen sind schon längst angekommen und haben sich die Wartezeit in den Wellen und in den flachen Pools vertrieben. Sie schwärmen von ihrem abwechslungsreichen Downwinder und bevor wir uns lange über unser Pech mit der Schlammpanne auslassen, pumpen wir lieber unsere 7 qm Kites auf, um wenigstens noch ein bisschen Flachwasser abzukriegen.
Eine Sandbank liegt noch trocken und hinter dieser übe ich Sprünge und anständige Landungen, dass es nur so raucht.
Da mein Kite ziemlich gut Zug hat, geht das Springen fast wie von selbst. Marcel verrät mir nachher, dass wir gute 7-8 Windstärken hatten, etwas um die 64 km/h, das erklärt natürlich alles. Hach, ich LIEBE dieses Brasilien!!!! :-)
Als mein rechtes Knie irgendwann von den immer noch nicht so perfekt sanften Landungen das Maulen anfängt, sammelt Rama uns ein und es geht wieder zurück nach Icaraizinho. Diesmal aber mit einer Fähre, die etwas weiter im Landesinneren liegt und die deutlich grösser und vertrauenswürdiger aussieht. Danach müssen wir noch über riesige Dünen, auf denen ich uns schon wieder schieben sehe, aber nach mehreren Anläufen schaffen wir es dann doch auf die befestigten Strassen und sind auch bald daheim.
Eigentlich könnten wir noch eine tolle Abendsession dranhängen, aber irgendwie sind alle ziemlich tot und die einen verkrümeln sich an die Bar, die anderen in die Hängematte.
Am Abend ist die Vorfreude gross, denn wir haben bei einem Japaner reserviert, der in einer Querstrasse der Strandstrasse ein winziges Bistro mit gerade mal drei Tischen vor dem Haus besitzt und der sich lustigerweise als der Einheimische herausstellt, der uns bei unserer Ankunft vorgestern auf Englisch den Weg zu unserer Pousada les Alizes gewiesen hat. Er hat uns ein leckeres Thunfisch-Sashimi in Aussicht gestellt hat und tatsächlich, wir bekommen zwei Teller mit einem riesigen Haufen frischester und leckerster roher Tuna-Stücke auf den Tisch gestellt und fallen wie die Wölfe darüber her. Mit Sesam bestreut und in Wasabi und Soja getunkt zergeht das Sashimi regelrecht auf der Zunge.
Noch dazu ist Carlos Kazu so herzig und unser Appetit macht ihm sichtlich so Freude, dass wir ihn sofort alle ins Herz schliessen. Roman und ich stellen fast, dass er ein genauso humorvolles Lachen hat wie der Dalai Lama und nach dem zweiten Gang, einer luftig lechten Lasagne mit Schinken, verrät er uns, dass er im übernächsten Jahr in ein Kloster in Nepal gehen möchte, um sich seinem buddhistischen Glauben zu widmen.
Nach einer sehr herzlichen Verabschiedung marschieren wir wieder an die Strandstrasse, wo wir noch ein paar leckere Kugeln Eis in der Gelateria verputzen und Thomas und Heinz bekommen ihren obligaten Kaffee. Lustigerweise treffe ich dort Dirk, einen alten Brasilien-Bekannten, mit dem ich mir vor circa fünf Jahren ein Wettspringen über die Mangroven-Büsche in der Lagune von Barra Grande geliefert habe, mit zwei bayerischen Freunden. Wir tauschen noch ein paar Tipps für diverse Must-visit-Kitespots aus, bis ich endlich unter dem sternenübersäten Nachthimmel und neben den rauschenden Wellen am Strand wieder nach Hause laufe.
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